Renate Sommer (EVP/CDU):
Die gestrige Wiederholung der Parlamentswahl in der Türkei brachte Präsident Erdogan und seiner AK-Partei überraschend das Wunschergebnis.
Zwar steht das offizielle Endergebnis noch nicht fest, jedoch muss man davon ausgehen, dass die AKP nun wieder mit absoluter Mehrheit das Land regieren kann. Die ständige Türkei-Berichterstatterin der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Renate Sommer (CDU), kommentiert dies wie folgt:
"Es ist geradezu deprimierend, dass die Taktik der AK-Partei, allen voran Präsident Erdogan, derart von Erfolg gekrönt wird. Allein schon die bis zuletzt immer weiter gesteigerten, massiven Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit belegen, dass der Wahlkampf mehr als unfair war. Erst kürzlich war der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Zaman verhaftet worden, und vor wenigen Tagen wurde eine ganze Medienholding von der AKP gekapert und übernommen. Seither gibt es fast nur noch Lobeshymnen auf Sultan Erdogan und seine Getreuen. Gleichzeitig gelang es Erdogan, nicht nur die PKK wieder zu aktivieren, sondern damit auch die Kurden insgesamt als Terroristen oder zumindest ihnen nahestehende Bevölkerungsgruppe zu dämonisieren.
Das sorgte, wie geplant, für Verunsicherung und Angst in der Gesamtbevölkerung und schanzte der AKP, die sich als Retter in dieser Not präsentierte, wieder viele der bei der Juni-Wahl verlorenen Stimmen zu.Dass die AKP aber vor diesem Hintergrund ausgerechnet in einigen Städten des kurdischen Südostens der Türkei Stimmenzuwächse von rund 10 % erzielt haben soll, während die Kurdenpartei HDP eine Million Stimmen verloren haben soll, lässt aufhorchen. Und die Tatsache, dass es in dieser Region europäischen Wahlbeobachtern verwehrt wurde, ihr Amt auszuüben, wie die türkische Tageszeitung Taraf heute berichtet, spricht Bände. Kein Wunder, dass das Gerücht der Wahlfälschung umgeht. Und tatsächlich ist es mittlerweile durchaus im Bereich des Vorstellbaren, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Schließlich hat sich die Türkei längst von den europäischen Grundwerten der Rechtsstaatlichkeit, der wirklichen Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten verabschiedet. In noch dunklerem Licht erscheint daher die Entscheidung der Europäischen Kommission, den diesjährigen "Fortschrittsbericht" zur Türkei, der diese Zustände detailliert kritisiert, erst nach dieser Parlamentswahl zu veröffentlichen. Man kann das genauso als direkte Wahlkampfhilfe für Erdogan und seine Partei werten, wie die Kniefälle der Europäer vor Erdogan in der Flüchtlingskrise. So hörte die Bevölkerung in der Türkei durch die gleichgeschalteten Medien fast ausschließlich Lobeshymnen auf die Regierungspartei, die auch wieder einmal den gesamten Regierungsapparat für ihren Wahlkampf missbrauchte. Die HDP als inhaltlich gefährlichste Konkurrenz war schon im Sommer nahezu kampagnenunfähig gemacht worden, als ein Mob, wie von Zauberhand geleitet, landesweit die Parteibüros zerstörte.
Was dem Land nun bevorsteht, ist eine mindestens weiterhin autoritäre, wenn nicht sogar schlimmere Staatsführung aus dem Präsidentenpalast heraus. Eine Verfassungsänderung erscheint dazu gar nicht mehr notwendig.
Für weitere Informationen:
Dr. Renate Sommer MdEP, Tel. +32 2 284 7383