PM Sommer zu EU-Kommission und Nährwertprofile - 13.10.2015

13.10.2015

Renate Sommer (EVP/CDU):

Lebensmittel-Werbeverbote bald vom Tisch?

Die Europäische Kommission hat angekündigt, wesentliche Elemente der 2006 in Kraft getretenen so genannten Health-Claims-Verordnung auf den Prüfstand zu stellen. Hierunter fallen auch die "Nährwertprofile", ein bis heute nur theoretisches Konstrukt ohne wissenschaftliche Grundlage, das zu weitgehenden Werbeverboten ausgerechnet bei Grundnahrungsmitteln führen würde. Die Expertin für Lebensmittelgesetzgebung im Europäischen Parlament, Dr. Renate Sommer (CDU), hatte diesen "Fitness-Check" angestoßen.

 "Das willkürliche Konzept der Nährwertprofile war von Anfang an gefährlicher Unsinn. Es kann schlichtweg nicht sein, dass sich Kommissionsbeamte entgegen wissenschaftlicher Erkenntnis  Grenzwerte für den Fett-, Zucker- und Salzgehalt von Lebensmitteln ausdenken, bei deren Überschreitung dann Werbeverbote drohen. Dies würde insbesondere Grundnahrungsmittel diskriminieren. So dürfte ein vitamin- und mineralstoffreiches Vollkornbot nicht mit dem Hinweis "reich an Ballaststoffen" beworben werden, weil es etwas mehr Salz enthält als Weißbrot. Auch die alte Volksweisheit 'Obst ist gesund' wäre längst nicht mehr für alle Obstsorten zulässig, weil viele Früchte ganz einfach süß sind. Derartige Beispiele gibt es viele. Dabei wäre es doch fatal, gesunde Grundnahrungsmittel durch Werbeverbote aus dem Speiseplan zu verdrängen. Deshalb war es auch nicht möglich, die Nährwertprofile von der Theorie in die Praxis zu überführen. Spätestens 2009 hätte die EU-Kommission die Profile festlegen sollen. Aber bis heute schlummern die Entwürfe in den Schubladen der Beamten. Das war übrigens zu erwarten, denn die Nährwertprofile entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage. Für Zucker existiert schlichtweg keine Verzehrsempfehlung, und Experten bemängeln insbesondere, dass Grenzwerte für die Nährstoffaufnahme, wenn überhaupt, mit Bezug auf den Tagesbedarf festgelegt werden müssten. Schließlich ernährt sich niemand den lieben langen Tag immer nur von ein- und demselben Produkt. Und der individuelle Tagesbedarf wiederum richtet sich bekannterweise nach einer ganzen Reihe von Faktoren, wie Alter, Geschlecht, körperlicher Aktivität, aber auch nach dem Gesundheitszustand oder z.B. der Umgebungstemperatur.

Weil die Health-Claims-Verordnung, die bereits 2006 in Kraft trat und deren Kernstück die Nährwertprofile sind, bis heute nur ansatzweise umgesetzt ist, hatte ich im Rahmen der "REFIT-Strategie" eine Überprüfung und Überarbeitung vorgeschlagen. Umwelt- und Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments unterstützten dies mit beeindruckenden Mehrheiten. Die Europäische Kommission will diese Überprüfung nun mit einer vierwöchigen Internet-Konsultation starten. Sie wäre allerdings gut beraten, das Gesetz gänzlich zu streichen. Angesichts der neuen Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) ist es nämlich schlichtweg überflüssig. Die endgültig ab Dezember 2016 verpflichtende Nährwertkennzeichnung, heute schon auf fast allen Produkten zu finden,  macht Nährwertprofile obsolet. Verbraucher können bereits auf einen Blick erkennen, wieviel Salz, Zucker und Fett ein Lebensmittel enthält. Zudem ist die Irreführung des Verbrauchers bis ins Detail verboten. Lebensmittelwerbung muss wahr sein. Damit sind auch die unglaublich zeit- und kostenintensiven Zulassungsverfahren von Werbeslogans, das zweite Standbein der Health-Claims-Verordnung, obsolet."

Für weitere Informationen:
Dr. Renate Sommer MdEP, Tel. +32 2 284 7383