Renate Sommer (EVP/CDU): Türkei: Harscher Rückschrittsbericht

08.10.2014

Die Europäische Kommission stellte heute ihren diesjährigen Fortschrittsbericht zur Türkei vor. Reformbestrebungen waren den vergangenen zwölf Monaten nicht zu erkennen. Daher fällt der Bericht noch negativer aus als im Vorjahr. Hierzu äußert sich die ständige Türkei-Berichterstatterin der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Renate Sommer (CDU), wie folgt:

"Auch in diesem Jahr ist der Fortschrittsbericht zur Türkei wieder ein harscher Rückschrittsbericht. Positive Entwicklungen sind kaum zu erkennen, umso mehr aber die negativen. Die EU-Kommission übt richtigerweise scharfe Kritik an der mangelnden Rechtsstaatlichkeit. Aber die regierende AK-Partei ist bekanntermaßen beratungsresistent. Mit der Arroganz der Macht agierte sie auch in den vergangenen 12 Monaten nach dem mittlerweile altbekannten Schema weiter. Korruptionsvorwürfe gegen die regierende Klasse, inklusive Erdogan, werden ignoriert. Mehr noch: Der Kampf gegen Korruption wurde de facto eingestellt. Und endlich einmal gibt der Erweiterungskommissar zu, was schon seit Jahren Realität ist: Die Türkei entfernt sich immer weiter von der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien. Nur dem türkischen Verfassungsgericht war es zu verdanken, dass Gesetze zur weiteren Einschränkung der Medien- und Meinungsfreiheit, wie Youtube- und Twitter-Verbot, zurückgenommen werden mussten. Erhebliche Defizite sieht die Kommission auch bei der allgemeinen Presse- und Meinungsfreiheit sowie bei der Versammlungsfreiheit. Ein im Februar 2014 verabschiedetes Gesetz zur Kontrolle des Internets wurde erst kürzlich noch, Anfang September, weiter verschärft. Die der EU so wichtigen bürgerlichen Rechte und Freiheiten interessieren Präsident Erdogan und seinen treuen Gefolgsmann, den neuen Ministerpräsidenten Davutoğlu, herzlich wenig.

Aber auch in diesem Jahr hat Erdogan hat es augenscheinlich wieder einmal in letzter Minute geschafft, die Kritik der Europäischen Seite abzumildern. Diesmal gelang es ihm mit der Annahme eines weitreichenden Gesetzes, das u.a. auf eine friedliche Lösung der Kurdenfrage, die Stärkung der sozialen Inklusion und der Integration von ehemaligen Mitgliedern der terroristischen PKK abzielt. Außerdem wurde Mitte September wieder einmal eine neue EU-Strategie der Türkei vorgestellt, die den ruhenden Beitrittsverhandlungen neuen Schwung verleihen soll. Aber wer soll derartige Schachzüge noch ernst nehmen? Frühere Strategien und mit großem Brimborium angekündigte Aktionen zur Europäisierung des Landes waren schließlich auch kaum mehr als Lippenbekenntnisse. Die Schlussfolgerung der EU-Kommission, dass sich keine der jüngsten Entwicklungen im Land positiv hinsichtlich der Beitrittskriterien ausgewirkt habe, ist daher schon arg geschönt. Und die abschließende Empfehlung, zügig neue Verhandlungskapitel zu eröffnen, ist ein naiver, hilfloser Akt. Erdogan würde dies als Bestätigung seiner Politik verkaufen. Die Türkei entfernt sich immer mehr von der EU. Sie hat sich wieder einmal selbst ein Armutszeugnis ausgestellt."

Für weitere Informationen:
Dr. Renate Sommer MdEP, Tel. +32 2 284 72383