Die Europäische Kommission hat heute ihren diesjährigen Bericht über die Fortschritte der Türkei vorgestellt. Trotz der harschen Kritik an der gewaltsamen Niederschlagung der friedlichen Demonstrationen im Istanbuler Gezi-Park und in der Folge im ganzen Land fordert die Kommission die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel. Hierzu äußert sich die Türkeiexpertin der CDU/CSU im Europäischen Parlament, Dr. Renate Sommer (CDU), wie folgt:
"Die erschreckenden Bilder türkischer Polizisten, die mit Schlagstöcken und Tränengas auf friedliche, wehrlose Demonstranten losgingen, sind uns noch allen vor Augen. Der türkische Ministerpräsident selbst hatte die gewaltsame Niederschlagung der Proteste angeordnet und lautstark gerechtfertigt. Mit den der EU so wichtigen bürgerlichen Rechten und Freiheiten hat Erdogan ganz offensichtlich nicht das Mindeste am Hut. Er hat sein Land schon lange an den Scheideweg gebracht, und die EU hätte konsequenterweise mit der offiziellen Aussetzung der Verhandlungen ein deutliches Zeichen setzen müssen. Dies ist - wieder einmal - nicht geschehen. Stattdessen befürwortet die EU-Kommission nun die Fortführung und Intensivierung der Beitrittsverhandlungen, ja sogar die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel. Die türkische Regierung kommt also wieder einmal ungeschoren davon. Dieses Signal ist fatal.
Dabei ist der brutale Umgang mit den Massenprotesten längst nicht die einzige Baustelle, die im Fortschrittsbericht kritisiert wird. Wieder einmal werden die Einschränkung der Religionsfreiheit sowie der Umgang mit regierungskritischen Journalisten auf das Schärfste verurteilt. Noch immer ist die Türkei das weltweit größte Journalistengefängnis. Selbst Reporter türkischer Staatsmedien, die über die Proteste im eigenen Land berichteten, wurden gefeuert oder ebenfalls verhaftet. Man stelle sich nur vor, was hierzulande los wäre, wenn die Gallionsfiguren der 'Tagesthemen' oder des 'Heute Journals' wegen der Berichterstattung über Ausschreitungen, etwa zu Stuttgart 21, von der Bildfläche verschwunden wären.
Dennoch hat es Premierminister Erdogan wieder einmal in letzter Minute geschafft, die Kritik abzumildern. Diesmal gelang es ihm mit der Ankündigung eines Demokratiepaketes, den Erweiterungskommissar und seine Beamten zu beschwichtigen.Dabei wäre es längst nicht das erste Mal, dass die vollmundigen Versprechungen reine Lippenbekenntnisse sind. Schlimmer noch: Mit der Ankündigung der Abschaffung des Kopftuchverbots für Frauen im öffentlichen Dienst treibt Erdogan ganz offen die Islamisierung der Türkei weiter voran. Wollen wir das wirklich zulassen? Wollen wir die Demonstranten, die bis heute fast täglich auf die Straßen gehen, so allein lassen? Wollen wir die vielen Opfer der Regierungsgewalt so verraten?
Nein! Die Mitgliedstaaten müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und der Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel eine klare Absage erteilen. Das ist die einzige Sprache, die Premierminister Erdogan versteht."
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Büro Dr. Renate Sommer MdEP, Tel. +32 2 284 7383