Renate Sommer (EVP/CDU): Europäisches Parlament: Massive Kritik an der Türkei

09.03.2011

Das Europäische Parlament nimmt heute
offiziell Stellung zur Situation im Kandidatenland Türkei. Die Kritik ist so
deutlich und schonungslos wie nie zuvor: Fortdauernder Reformstillstand sowie
die Drangsalierung der Presse und der religiösen Minderheiten sind nur einige
Punkte.

Die
Türkeiexpertin der CDU/CSU im Europäischen Parlament,
Dr. Renate Sommer, begrüßt die deutlichen Worte der Stellungnahme,
hält sie aber nicht für ausreichend, um einen wahren Kurswechsel in der Türkei
anzustoßen:

"Seit Jahren reden EU-Vertreter mit Engelszungen auf die türkische
Regierung ein. Dennoch gibt es in dem Land kaum Reformfortschritte, und das
immerhin im sechsten Jahr der Beitrittsverhandlungen. Im Gegenteil: Die
zunehmende massive Einschüchterung von Journalisten durch Zensur,  Bedrohung und Inhaftierungen erstickt die
Demokratisierung im Keim.

Die Enteignung des aramäischen Klosters Mor Gabriel ist nichts anderes
als die Vertreibung der letzten Urchristen aus dem Südosten der Türkei und
Synonym für die immer noch fast hoffnungslose Situation der religiösen
Minderheiten im gesamten Land. Auch im gesellschaftlichen Leben gibt es wieder
einmal Rückschritte: Seit Neuestem führen Schulen wieder die
Geschlechtertrennung ein, und das landesweite, rigide Alkoholverbot in der
Öffentlichkeit trägt wohl kaum zur Europäisierung des Landes bei.

Selbst die Befürworter eines EU-Beitrittes der Türkei sind mittlerweile
maßlos enttäuscht. Diese Enttäuschung spiegelt sich nahtlos auch in den
Entscheidungen des EU-Ministerrates wieder. Zum ersten Mal in der Geschichte
haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs gegen die Eröffnung
weiterer Verhandlungskapitel ausgesprochen. Nicht zuletzt ist es die
unnachgiebige Haltung Ankaras im Zypernkonflikt, die auch die letzten
Unterstützer der Türkei ins Wanken bringt. Aber auch auf Zypern brodelt es: Die
Zyperntürken, die durch die seit Jahren gezielt betriebene Ansiedlung von Festlandstürken
mittlerweile deutlich in der Minderheit sind, 
demonstrieren gegen die Taktik der türkischen Regierung, dem besetzten
Nordteil der Insel so endgültig die türkische Identität aufzuzwingen.

Mit einer Wiederbelebung der Reformen in der Türkei ist in nächster Zeit
nicht zu rechnen, denn die türkische Regierung fällt vor Wahlen regelmäßig in
eine Schockstarre. Ob Premierminister Erdogan nach seiner absehbaren Wiederwahl
im Juni tatsächlich den versprochenen Entwurf für eine grundlegend neue Verfassung
vorlegen wird, bleibt abzuwarten. Von gerechten Wahlen kann angesichts der
10 % - Zugangshürde zum Parlament, die in jedem Fall beibehalten
werden soll, sowieso keine Rede sein. Die Minderheiten bleiben also weiter
nicht nur vom EU-Prozess, sondern auch von der demokratischen Teilhabe im
eigenen Land ausgeschlossen.

Geradezu
lebensgefährlich für die politische EU und in Anbetracht der Entwicklung in den
Mittelmeeranrainerstaaten Nordafrikas ist vor diesem Hintergrund das Verhalten
der europäischen rot-grünen Allianz, die nun die Kopenhagener Kriterien
zugunsten der Türkei aufweichen will. Damit hätte der Kandidat erreicht, was er
seit Anbeginn seines EU-Prozessen anstrebt: Die EU würde sich mehr und mehr zu
einer reinen Freihandelszone entwickeln, damit die Türkei dazu passt! Dies
dürfen wir keinesfalls zulassen, und wir müssen endlich damit aufhören, uns
gegenseitig etwas 'in die Tasche zu lügen'. Ja, die Türkei ist ein wichtiger
Nachbar. Aber sie ist nicht europäisch und will es auch nicht werden. Die Verhandlungen
müssen endlich eingefroren werden, damit der Weg frei ist für eine andere Form
der nachbarschaftlichen Zusammenarbeit unterhalb der Beitrittsschwelle!"

Für weitere Informationen:
Büro Dr. Renate Sommer, MdEP, Tel: +33 3 88
17 7383