Beitrittsverhandlungen
jetzt auf Eis legen / Klagen vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
nehmen zu / Fortschrittsbericht der EU-Kommission
Die Türkei ist der Erfüllung der Kriterien für einen EU-Beitritt
nicht näher gekommen. In ihrem jährlichen Fortschrittsbericht stellt die
EU-Kommission nach wie vor umfangreiche Defizite in den Bereichen Rechtsstaat,
Grund- und Minderheitenrechte sowie der Meinungs- und Pressefreiheit fest.
"Die Mängelliste wird nicht kleiner. Sehr bedenklich ist, dass die Zahl
der Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und die
Verurteilungen der Türkei immer weiter zunehmen. Es wäre nur konsequent, wenn
die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf Eis legen würde",
sagten der Vorsitzende und der Co-Vorsitzende der deutschen Unionsabgeordneten
im Europaparlament, Werner Langen (CDU) und Markus Ferber (CSU).
Von Oktober 2009 bis Oktober 2010 hat die Kommission 5728 neu
eingereichte Klagen gegen die Türkei beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) gezählt. Im vergangenen Jahr stellte das Straßburger
Gericht in 553 Fällen Verstöße der Türkei gegen die Menschenrechte fest. Laut
Kommission waren Im September 2010 insgesamt 16093 Klagen gegen die Türkei beim
EGMR anhängig "Das ist einsamer Rekord. Mit solch einer traurigen Bilanz
sollte man sich eigentlich gar nicht mehr an den Verhandlungstisch
trauen", so die beiden Europaabgeordneten.
Zur Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei stellt die
Kommission fest: "Die rechtlichen Schritte gegen Journalisten und unverhältnismäßiger
Druck auf die Medien höhlen die Pressefreiheit in der Praxis aus."
Weiter konstatiert die Kommission, dass die Türkei nach wie vor den Schiffs-
und Flugverkehr aus Zypern blockiert und somit weiterhin "die Verpflichtungen
[...] des Ankara-Protokolls nicht erfüllt." Die Übereinstimmung der
türkischen Praxis mit EU-Standards in den Bereichen Asyl und Visa sieht die
Kommission "in einem sehr frühen Stadium".
"Was die Kommission auf über 100 Seiten auflistet, ist
verheerend. Ein Land, das Minderheiten unterdrückt, die Medien gängelt und sich
hartnäckig rechtsbrüchig gegenüber Abkommen mit der EU zeigt, hat am
Verhandlungstisch nichts zu suchen. Es ist an der Zeit, dass die EU ihre
zwiespältige Zuckerbrotpolitik bei den Beitrittsverhandlungen einstellt.
Kernkapitel sind ohnehin blockiert. Jetzt müssen die Verhandlungen ganz ruhen,
bis die Türkei ihre Blockade gegenüber Zypern einstellt", so Langen und
Ferber.