Renate Sommer (EVP/CDU): EU-Türkei: Europaparlament beendet Schönfärberei

10.02.2010

Heute nahm das Europäische Parlament zum Stand der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei Stellung. Im Mittelpunkt der Entschließung stehen die Rückschritte des Kandidatenlandes im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Verletzung des Organisationsrechts durch wiederholte Parteiverbote. Scharfe Kritik üben die Abgeordneten auch an der anhaltenden Diskriminierung von Frauen und religiösen Minderheiten sowie der Weigerung der Türkei, die Zollunion mit Zypern anzuerkennen.

Hierzu nimmt die Türkeiexpertin der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Dr. Renate Sommer (CDU) wie folgt Stellung:
"Es scheint fast so, als sei das Europäische Parlament die einzige europäische Institution, die die unsäglichen Verletzungen demokratischer Grundrechte in der Türkei beim Namen nennt. Im Gegensatz zur Schönfärberei der Kommission und des Rates beurteilen wir dieses Land weit kritischer und gehen gezielt auf aktuelle Entwicklungen ein. Das im vergangenen Dezember verfügte Verbot der demokratisch gewählten pro-kurdischen DT-Partei, die fast 20% der türkischen Bevölkerung vertritt, ist ein Affront gegen die kurdische Minderheit und gegen jegliches Demokratieverständnis. Auch die Annullierung des Gesetzes zur Beschneidung der Rechte von Militärgerichten ist ein klarer Rückschritt, der die innere Zerrissenheit der Türkei veranschaulicht: Die Bemühungen der AKP-Regierung, der EU wenigstens in einigen Forderungen etwas entgegen zu kommen, wurden damit von der nationalistisch geprägten Opposition im eigenen Land kolportiert. Gleichzeitig aber betreibt die türkische Regierung weiterhin die Islamisierung des Landes: Zeitgleich zur Ankündigung der Ernennung eines Beauftragten für die religiöse Minderheit der Aleviten will man nun die Altersbeschränkung für die Teilnahme von Kindern an Koranschulen aufheben. Diese Pläne zur "frühkindlichen Erziehung" sind beängstigend!

Insgesamt werden die Rechte von Kindern und Frauen in der Türkei mit Füßen getreten. Ein Land, das mehr "Ehrenmorde" zu verzeichnen hat als jemals zuvor, ein Land, in dem ein 16-jähriges Mädchen lebendig begraben wird, weil sie mit Männern spricht und in dem bereits 15-jährige Kinder nach einem Anti-Terror-Gesetz inhaftiert werden können, ist sowohl mental als auch legal Generationen von einem EU-Beitritt entfernt.

Genau dies unterstreicht auch die Verlautbarung des türkischen Chefunterhändlers Bagis, er nehme die EP-Entschließung nicht ernst. Zwar war dies eine zu erwartende Abwehrreaktion auf unseren kritischen Bericht; es zeugt aber auch von einer Missachtung der demokratischen Entscheidungsprozesse innerhalb der EU. Die Entschließung des Europäischen Parlaments hat zwar keine unmittelbaren legalen Auswirkungen; sie spiegelt aber die Grundstimmung in der europäischen Bevölkerung wieder. Und am Ende der Beitrittsverhandlungen wird die Türkei gegebenenfalls auch auf die Zustimmung des Europäischen Parlaments angewiesen sein."

Für weitere Informationen:
Dr. Renate Sommer MdEP, Tel. +32 2 284 7383