Straßburg, 13.03.09 - Zwar nahm das Europäische Parlament gestern sehr kritisch Stellung zur Türkei, jedoch ist der dem zugrunde liegende Fortschrittsbericht der EU-Kommission aus November 2008 längst überholt: Die Entwicklung des Kandidatenlandes geht massiv in Richtung Islamisierung und Meinungsdiktatur.
"Nicht nur der aktuelle Versuch, die oppositionelle Dogan-Mediengruppe durch eine rechtlich nicht zu vertretende Strafzahlung von 390 Millionen Euro wegen angeblicher Steuerhinterziehung zu vernichten, offenbart das wahre Gesicht der regierenden AK-Partei", erklärt Dr. Renate Sommer (CDU), Türkeiexpertin im Europäischen Parlament. "Die türkische Regierung beschreitet mit erstaunlichem Erfindergeist Schritt für Schritt sehr konsequent den Weg zur Meinungsdiktatur. Nun sind die freien Gewerkschaften an der Reihe, von denen es sowieso viel zu wenige gibt. Sie sind offensichtlich ein Dorn im Auge der Regierung Erdogan. Aktuell werden daher mehr und mehr islamistische Gewerkschaften parallel zu bereits bestehenden freien Arbeitnehmervertretungen gegründet. Und erstere haben nach Aussage "richtiger" Gewerkschaftler starken Zulauf, da sie die Mitglieder der freien Gewerkschaften zum Überwechseln nötigen. Wer würde sich auch trauen, diesen Wechsel zu verweigern, wenn ihm dafür berufliche Nachteile bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes in Aussicht gestellt werden? So werden die "Freien" ausgeblutet, und am Ende steht die Meinungskontrolle. Dies ist ein weiterer Schachzug Erdogans, den Einfluss der regierenden AK-Partei auch in den letzten Winkeln der Gesellschaft geltend zu machen und die Islamisierung des Landes voranzutreiben", so Sommer.
"Der türkische Ministerpräsident wiegt sich angesichts des bisherigen Verhandlungsverlaufs in Sicherheit und missbraucht den EU-Prozess seines Landes. Mit unserer Forderung nach Religionsfreiheit rechtfertigt er seine Islamisierungsversuche, ohne aber nicht-muslimischen Minderheitenreligionen eine Überlebenschance zu geben. Nun wird die EU-Forderung nach Gewerkschaftsbildung missbraucht. Auch vor Erpressung schreckt Erdogan bekanntlich nicht zurück - siehe Nabucco-Pipeline. Dies alles sollte auch den letzten Befürwortern der Türkei-Mitgliedschaft deutlich machen, mit welchem Verhandlungspartner es die EU zu tun hat. Wenigstens das Europäische Parlament scheint nun aufzuwachen: Selbst eigentliche Befürworter eines Türkeibeitritts zeigen sich maßlos enttäuscht. Dennoch ist es eine kleine Sensation, dass die Mehrheit unseres Hauses einen Antrag der Sozialisten ablehnte, der ausdrücklich die EU-Mitgliedschaft der Türkei als Ziel der Verhandlungen zum Inhalt hatte. Der Bericht betont stattdessen, dass es sich um einen Prozess mit offenem Ausgang handelt", so Sommer abschließend.
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