Brüssel, 12.02.09 - Gestern Abend stimmte der Auswärtige Ausschuss des Europäischen Parlaments über eine Entschließung zum Stand der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab. Der Bericht mahnt die Türkei wieder einmal zur Wiederaufnahme der Reformbemühungen und kritisiert die Einschränkungen in der Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Verzögerungen bei der Verfassungsreform, droht aber keine Konsequenzen an.
"Den Reformstillstand seit Aufnahme der Beitrittsverhandlungen im Oktober 2005 und die nachhaltige Verweigerungshaltung der Türkei in der Zypernfrage lediglich als 'Verlangsamung des Prozesses' darzustellen, ist eine unverantwortliche Beschönigung der Tatsachen. Insbesondere bei der Religionsfreiheit gibt es trotz des neuen Stiftungsgesetzes keinerlei Fortschritte", so Dr. Renate Sommer, stellvertretende Vorsitzende der Türkei-Delegation des Europäischen Parlaments. "Immerhin konnte ich in der Entschließung die Aufforderung an die türkische Regierung verankern, die geplante Enteignung des christlichen Klosters St. Gabriel in Tur Abdin zurückzunehmen. Meine in dieser Sache an den Erweiterungskommissar gerichtete schriftliche Anfrage hatte dieser - wie üblich - nur sehr ausweichend beantwortet. Mehr und mehr drängt sich mir deshalb der Eindruck auf, dass die EU-Kommission nicht zu den europäischen Grundwerten steht".
"Auch die Natur- und Umweltschutzstandards der EU werden seitens der türkischen Regierung schlichtweg ignoriert und die Rechte der türkischen Bevölkerung mit Füßen getreten. Ein Beispiel hierfür ist das so genannte 'Südost-Anatolienprojekt', der Bau von 22 Staudämmen in ökologisch teilweise sehr sensiblen Gebieten. Hier werden in der Türkei kalt lächelnd schnell Tatsachen geschaffen, bevor eine EU-Mitgliedschaft des Landes solche Aktionen verbietet. Daher ist es in keiner Weise nachvollziehbar, dass das Ilisu-Staudamm-Projekt, im Zuge dessen mehr als 30.000 Menschen ohne angemessene Entschädigung zwangsenteignet und vertrieben werden und das zudem den Nachbarstaaten Iran und Irak buchstäblich das Wasser abgräbt, in der Türkei-Entschließung nicht schärfer kritisiert wird," so Sommer. Richtig sei hingegen die Aufforderung an die türkische Regierung, bei Strafsachen, durch die EU-Bürger Opfer von Betrug oder Gewalt geworden sind, enger mit den europäischen Behörden zusammenzuarbeiten. "Der Jahre zurückliegende tausendfache Betrug an türkischen Immigranten durch islamische Holdings in Deutschland und Holland kann nämlich bis heute nicht geahndet werden, weil die Türkei ganz offensichtlich nicht an einer gemeinsamen Strafverfolgung interessiert ist", erklärte die CDU-Europaabgeordnete für das Ruhrgebiet.
"Insgesamt folgt der Auswärtige Ausschuss mit diesem Bericht den Fußstapfen der Kommission und signalisiert, dass der Reformstillstand keine Auswirkungen auf die Beitrittsverhandlungen haben wird. Ich hoffe aber, dass das Europäische Parlament in der Plenarabstimmung über die Türkei-Entschließung Zähne zeigt. Es kann nicht sein, dass ein Verhandlungskapitel nach dem anderen eröffnet wird, obwohl sich die Türkei nachhaltig den Grundwerten und Forderungen der EU verweigert", so Sommer abschließend.
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